Im Cafe Liliput ·

Hier war ich jeden Tag. Immer zur Mittagszeit. Das Cafe war der Treffpunkt, Termine wurden vereinbart oder wahrgenommen, Ideen entstanden, Pläne wurden geschmiedet. Musiker Magdeburger Bands sammelten sich zur Abfahrt für die Mucke. Die Künstler trafen sich, ihr Verbandsbüro war nebenan. Und alle die, die Künstler sein oder werden wollten. Man sprach über Gott und die Welt, über Autos, Filme, Bücher, Ausstellungen. Doch nie über Fußball. Der Sport war Thema anderer Kreise. Im Liliput ging es um Kunst, im Großen und im Kleinen. Die neusten Nachrichten konnte man erfahren und weiterleiten. Auf Zigaretten-schachteln wurde gekritzelt, der Gedanke festgehalten. Jeder hatte eine Tasche das Cafe lag zentral, man hatte immer in der Nähe was zu besorgen. Ich hatte meist meine neusten Fotos bei und suchte erste Kritik und Anerkennung. Hier las ich die Gedichte meines Freundes, die Ergebnisse der letzten Nacht;

 

hinten grinst aus fertig

ung asphalt und volks

haus mit jahreszahl die

aufschrift wie recht

schreibung vernünftige

beschäftigung so

zialismus fragt wie bist

du und wann und

wo was du hier trinkst

das wird dir drüben

keiner zahlen das sagt

ein kind dir das sagen

hinter dir die tage t

räume türen therapien

 

 

 

War man mal gerade wieder Pleite, es fand sich immer einer, einem 70 Pfennig für eine Tasse Kaffee borgte. Oder man kam überhaupt, um jemanden zu finden, den man für ein paar Tage anpumpen konnte. Selbstverständlich wurden die Schulden auch wieder in Cafe beglichen, wo sonst.

Überhaupt kannte man viele, von denen man oft nicht den Namen wußte und wo sie wohnten. Die man eben nur im Cafe traf. Im Liliput verkehrten mehrere Kreise. Da waren die Frauen vom Dorf mit ihren großen Einkaufstaschen, die vor Abfahrt des Busses noch ein Stück Torte aßen. Sie hatten meist keine Zeit ihren Mantel abzulegen. Handwerker und Monteure verkehrten hier, zum Frühstück oder Mittag. Oft im blauen Arbeitsanzug. Sie waren die Lieblinge des Personals, den reparierten schnell mal die Kühlanlage und hatten eben was zu bieten, anders als wir Schlucker, die oft die letzten Groschen zusammenklaubten. Früher waren wir des Abends dort, nach der Arbeit, von fünf bis zur Schließung gegen sieben. Da hatten wir uns festgesessen und waren ewig die letzten. Da waren noch die alten Herren da. Meist Alleinstehende, die nach ihrem Arbeitstag noch ein Gespräch suchten, nicht gleich in ihre leere Wohnung wollten wo sie niemand erwartete. Wir alle wurden aber raus geschmissen, als unser Cafe zum “Nichtraucher ab 16 Uhr“ erklärt wurde, war die Gemütlichkeit dahin. Denn wer im Cafe ein-zwei Stunden mit Freunden sitzen will hält es solange nicht ohne Zigaretten aus. Kaffeehausgänger sind eben meist auch Raucher. Als die ersten Punks auftauchten fand man sie auch im Liliput, die neue Generation hatte sich angekündigt. Aber alle waren wir miteinander Vertraut.

Und dann war da immer noch jemand. Der Herr am Nebentisch. Doch auch an den hatte man sich gewöhnt. Das Liliput war populär, die Magdeburger Band “Juckreiz“ hatte ihm einen Text geschrieben: “Die Luft im Cafe Liliput schmeckt nach Tabak und nach Wein. Wenn Dir danach zumute ist, dann geh‘ doch einfach mal rein!“ Nicht reingehen sollte man nach einem Artikel der FDJ-Zeitung “Junge Welt“ ‚ da wurden die Jugendlichen vor Spinnern und Möchtegernen gewarnt.

 

 

 

Köln, 1985 für „Alltag im anderen Deutschland“

ECON Verlag Düsseldorf und Wien

 

Lyrik: Rainer Schedlinski


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